Ercan Richter

Berglandschaften

Der Maler Ercan bleibt über Jahre seiner Schaffensweise treu. Noch immer entwickelt er ein Thema, indem er dieses zyklisch bearbeitet, über viele Monate, gar Jahre hinweg verfolgt und variiert. Während langer Zeit stand der Mensch im Mittelpunkt des Interesses. Zunächst war es der Mensch als gesellschaftliches Produkt und Opfer politischer Machenschaften – so im Hammam-Zyklus, den Bildern zum Gotthardt-Tunnel-Bau oder der malerischen Auseinandersetzung mit Krieg und Flucht. Später lotete Ercan die Psychologie des Menschen aus, beispielsweise in den Serien Masken und Siamesische Zwillinge. Bereits mit dem Zyklus der Birken wandte sich der Maler von der menschlichen Figur ab, hin zur Natur. Und was für eine Natur! In seinen jüngsten Berglandschaften liegt eine ungeheure Wucht, eine energische Kraft. Ercan befasste sich parallel zur Arbeit an den Landschaften eingehend mit der Malerei und den Tagebüchern von Van Gogh. Es ist vielleicht am ehesten die grosse Emotionalität Van Goghs, seine ungeheure Intensität, die auch in den Arbeiten Ercans spürbar ist. Mit kräftigem Pinselduktus wird Schicht über Schicht gelagert, bis die Boden- und Gesteinsstrukturen sich fast reliefartig dem Auge darbieten. Bereits in den Birkenbildern war es nicht der abgerundete, harmonische Landschaftsausschnitt, sondern die Ursprünglichkeit, die Nacktheit der Natur, die erfasst wurde. Ercans Berglandschaften sind himmellos, der Blick ist auf den Boden gerichtet, die Materialität, die Beschaffenheit der Erde, die Unverwüstlichkeit und Beständigkeit des Steins interessiert, nicht der luftige, licht erfüllte, stetig sich wandelnde Himmel. Diese Landschaftsszenen sind grenzenlos, sie lassen sich ins Endlose fortsetzen. Die Gewalt der Natur, wie sie sich in diesen Bildern vermittelt, löscht den Menschen aus. Sie benötigt ihn nicht als Schauspieler, schon gar nicht als Landschaftskultivator, er bleibt ganz ausserhalb. Durch die ungewohnten Bildausschnitte, die wie ein Puzzleteil aus einem grösseren Ganzen entnommen scheinen, gewinnen die jüngsten Bilder des Malers einen hohen Abstraktionsgrad. In den Grossformaten ist das Vorbild der Landschaft noch ganz präsent, in den kleineren Formaten geht es tatsächlich nur noch um Form, Farbe und Struktur - um Malerei pur.

Dr. Bettina Richter, Kunsthistorikerin

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